„Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen (autochthonen) Völker, der Geringsten kämpft, wo ihre Stimme gehört und ihre Würde gefördert wird.
Ich träume von einem Amazonien, das seinen charakteristischen kulturellen Reichtum bewahrt, wo auf so unterschiedliche Weise die Schönheit der Menschheit erstrahlt.
Ich träume von einem Amazonien, das die überwältigende Schönheit der Natur, die sein Schmuck ist, eifersüchtig hütet, das überbordende Leben, das seine Flüsse und Wälder erfüllt.
Ich träume von christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien sich dermaßen einzusetzen und Fleisch und Blut anzunehmen vermögen, dass sie der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken.“ (https://tinyurl.com/rnkfolc, § 7)
Schutz Amazoniens
In seinem Apostolischen Schreiben Querida Amazonia benennt Papst Franziskus sein Anliegen, das er bewusst der ganzen Welt anvertraut (§ 5). Denn „das Gleichgewicht des Planeten hängt auch von der Gesundheit Amazoniens ab.“ (§ 48) Was dort an ökologischen Freveln geschieht, hat Folgen für die gesamte Erde. Was den autochthonen Völkern dort angetan wird, sind Menschenrechtsverletzungen, die alle Staaten herausfordern müssten. Und er nennt die Verbrechen und Verbrecher beim Namen.
„Den nationalen oder internationalen Unternehmen, die Amazonien Schaden zufügen und das Recht der ursprünglichen Völker auf ihr Gebiet und seine Grenzen, auf Selbstbestimmung und vorherige Zustimmung nicht achten, muss man den Namen geben, der ihnen gebührt: Ungerechtigkeit und Verbrechen. Wenn sich einige Unternehmen in der Begierde nach schnellem Gewinn die Gebiete aneignen und am Ende sogar das Trinkwasser privatisieren, oder wenn der Holzindustrie und Projekten zum Bergbau oder zur Erdölförderung sowie anderen Unternehmungen, welche die Wälder zerstören und die Umwelt verschmutzen, seitens der Behörden grünes Licht gegeben wird, dann verändern sich die wirtschaftlichen Beziehungen auf ungerechtfertigte Weise und werden zu einem Instrument, das tötet. Gewöhnlich wird auf Mittel jenseits jeder Ethik zurückgegriffen. Dazu gehören Sanktionen gegen Proteste und sogar die Ermordung der Indigenen, die sich den Projekten entgegenstellen, die Brandstiftung in den Wäldern oder die Bestechung von Politikern und Indigenen selbst. Dies wird von schweren Menschenrechtsverletzungen und von neuen Arten der Sklaverei vor allem gegenüber den Frauen begleitet wie auch von der Plage des Rauschgifthandels, der die Indigenen zu unterwerfen sucht, oder vom Menschenhandel, der die aus ihrem kulturellen Umfeld Vertriebenen ausnutzt. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Globalisierung zu einer ‚neue[n] Form des Kolonialismus‘ wird.“ (§ 14) „In (den) Städten, die von einer großen Ungleichheit geprägt sind, wohnt der Großteil der Bevölkerung Amazoniens. Dort nehmen aber auch die Fremdenfeindlichkeit, die sexuelle Ausbeutung und der Menschenhandel zu. Daher erhebt sich der Schrei Amazoniens nicht nur aus dem Herzen der Wälder, sondern auch aus dem Inneren seiner Städte.“ (§ 10)
Damit wendet sich Franziskus auch gegen die in Luxemburg angesiedelten Finanzunternehmen, die in Amazonien Geld verdienen, wie Kardinal Hollerich immer wieder betont. Franziskus’ Antwort darauf ist klar: „Man muss sich empören, so wie Mose zornig wurde (vgl. Ex 11,8), so wie Jesus zürnte (vgl. Mk 3,5), so wie Gott angesichts der Ungerechtigkeit in Zorn entbrannte (vgl. Am 2,4-8; 5,7-12; Ps 106,40).“ (§ 15) Solche Aufforderungen des Papstes werden von der europäischen Presse nicht verbreitet; sie konstruiert aus klerikalen Meinungsverschiedenheiten lieber Skandälchen, die Leser und Hörer anlocken. Empörung ist aber die Rolle, die der argentinische Papst der Kirche zuspricht: eine prophetische, eine politische Rolle. Er greift die Erkenntnisse und Erfahrungen der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und der von ihr beseelten Basisgemeinschaften auf, die Johannes Paul II. wegen Marxismus-Verdacht verurteilt hatte: „Die Basisgemeinden boten echte Erfahrungen von Synodalität auf dem Weg der Evangelisierung der Kirche in Amazonien, wenn es ihnen gelang, die Verteidigung der sozialen Rechte mit der missionarischen Verkündigung und der Spiritualität zu verbinden. […] ‚Viele ihrer Mitglieder haben sogar ihr Leben dafür hingegeben.‘“ (§ 96) Daher gelte es für sie und mit ihnen zu kämpfen. (§ 72) Und das umso mehr, weil Franziskus weiß, dass die Kirche nicht unschuldig ist am Leiden der Völker Amazoniens. Er schämt sich, da „die Missionare nicht immer den Unterdrückten zur Seite standen. So bitte ich einmal mehr ‚demütig um Vergebung, nicht nur für die Verletzungen durch die Kirche selbst, sondern für die Verbrechen gegen die Urbevölkerungen während der sogenannten Eroberung Amerikas‘ und für die schrecklichen Verbrechen, die im Laufe der ganzen Geschichte Amazoniens folgten.“ (§ 19)
Gegen Eurozentrismus und Klerikalismus
Die Kirche vor Ort, mit Unterstützung der Weltkirche, muss das Schicksal des Amazonasgebiets in die Hand nehmen und gegen seine Ausbeutung vorgehen, die Frohbotschaft von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung verkünden. Darum tun die gesamte westliche Presse und etliche Kirchenvertreter dem päpstlichen Schreiben unrecht, wenn sie nur einen Aspekt aufgreifen: Franziskus habe nicht, wie von der Bischofssynode im Oktober 2019 mit großer Mehrheit gewünscht, die Weihe von verheirateten Männern zu Priestern und von Frauen zu Diakoninnen zugelassen. Doch Franziskus ruft ausdrücklich zur Lektüre des Abschlussdokuments der Synode auf. Kardinal Hollerich hat in einem Interview mit Radio 100,7 am 12. Februar 2020 völlig zurecht die Kritik am Papst als Eurozentrismus und Klerikalismus zurückgewiesen. Wenn es im Schreiben heißt, Inkulturation müsse „sich auch auf konkret erfahrbare Weise in den kirchlichen Organisationsformen und in den kirchlichen Ämtern entwickeln und widerspiegeln“ (§ 85), bleibt für die Zukunft die klerikale Frage offen. Aber das ist für Franziskus nicht vorrangig. Er bleibt ein eher konservativer Theologe, ist aber ein politisch engagierter Christ. Ihm geht es um die Rettung des Amazonasgebiets, seiner naturbelassenen Urwälder und der dort lebenden Völker. Dazu braucht es nicht die Aufhebung des Zölibats. Die prophetische Aufgabe kommt nicht den Klerikern zu. Die Kirche als Gemeinschaft ist gefordert. Denn die konkrete politische Umsetzung dieses christlichen Auftrags kann nur von der Christengemeinschaft geleistet werden. Die klerikale Hierarchie hat dazu kein Mandat und keine besondere Befähigung. Insofern ist das Schreiben nicht nur prophetisch in Bezug auf die ökologische, soziale und kulturelle Lage in Amazonien, sondern auch in Bezug auf die (synodale) Verfassung der Kirche.
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